
Zwei Rennstrecken, zwei Herzen, eine Ziellinie.
Carina lebt für den Adrenalinkick. Sie hat gerade ihre eigene Motocross-Strecke eröffnet und startet in der kommenden Saison bei der Frauen-Weltmeisterschaft. Es könnte ihr Jahr werden.
Dann erfährt sie jedoch, dass Ex-Profifahrer Luis Gerland eine konkurrierende Strecke in ihrer Nähe plant. Als mehr und mehr Kunden abspringen und ihre Einnahmen schwinden, bleibt Carina keine Wahl: Sie muss mit Luis zusammenarbeiten, damit ihr Traum nicht wie eine Seifenblase zerplatzt.
Trotz anfänglicher Abneigung stellt Carina fest, dass hinter Luis‘ unnahbarer Fassade mehr steckt, als sie erwartet hat. Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto stärker werden ihre Gefühle füreinander. Doch kann der erste Eindruck wirklich trügen? Und wie sehr kann Carina sich auf ihr Herz verlassen, wenn für sie alles auf dem Spiel steht?
“Colliding Hearts” von Sarah Lemme ist eine Sportsromance voller Leidenschaft, die über Rivalität hinausreicht.
Noch unentschlossen? Eine ausführliche Rezension zum Buch findest du bei Cleos Bücherecke:
„Der Schreibstil ist klasse und leicht zu lesen.„
Denise, Bloggerin.
„Die Autorin hat eine tolle Sportromance geschrieben mit viel humorvollen Dialogen, alles detailliert beschrieben, sodass man das Gefühl hat mittendrin zu sein. Jedes Kapitel hat mich total gefesselt und mitgerissen.„
Tina, Bloggerin
„Eine eindrucksvolle Geschichte, die das Herz berührt und den geist inspiriert. (…) Ein Buch, das man nicht mehr aus den Händen legen mag.““
Cleo, Bloggerin
Leseprobe
Kapitel 1 aus Colliding Hearts
Carina
Arnhem, Niederlande
Die Vorstart-Spannung vibriert in der Luft. Heute ist dieser eine Tag, an dem Träume wahr werden oder wie eine Seifenblase in der Luft zerplatzen. Helden werden zu Legenden oder verschwinden von der Bildfläche, als hätte es sie nie gegeben. Zwischen Triumph und Niederlage liegen 30 Minuten plus zwei weitere Runden. Es ist das Event des Jahres in der Szene.
»Hunger, Carina?«, fragt Sonya.
Ich brumme eine Art Zustimmung, den Blick auf den Eingang des Fahrerlagers gerichtet. Wie gern würde ich noch ein oder zwei Autogramme ergattern, um meine Sammlung zu vervollständigen. Okay, vollständig wird sie wohl nie, aber trotzdem. Einfach aus Prinzip und weil sich die ganzen Sammlerstücke in meinem neuen Büro sehr gut machen werden. Der Rohbau steht bereits und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich meine eigene Motocross-Strecke eröffne.
»Hier.« Sonya drückt mir eine Bratwurst mit einem Stück Brot in die Hand und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
»Danke«, nuschle ich, den ersten Bissen bereits im Mund.
»Weißt du eigentlich, wie genial das ist, dass du nächstes Jahr ebenfalls hier starten wirst?«
»Joah, hat schon was.« Ich wiege den Kopf hin und her, als wäre es das Normalste auf der Welt. Aber Pustekuchen, das ist es nicht. Das ist die fucking Weltmeisterschaft im Motocross!
»Ich kann das noch immer nicht glauben.« Sonya knabbert bedächtig an ihrer Bratwurst, während ihre Augen umherhuschen.
Die Wiesen um uns herum gleichen einem Bienenschwarm. Überall tummeln sich Menschen: Fans mit Merchandise ihrer Lieblings-Bike-Hersteller, begeisterter Nachwuchs, Streckenposten und natürlich die Fahrer. Letztere aus der Topklasse haben sich inzwischen allerdings ins Fahrerlager zurückgezogen. Es ist nur noch eine halbe Stunde bis zum Start. Sie werden sich aufwärmen, ein letztes Mal die Maschinen checken und dann in das Finale der WM-Serie starten. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie hoch die Anspannung sein muss.
»Ist aber so.« Ich strecke meiner besten Freundin die Zunge raus.
»Du bist zu bescheiden.« Sie boxt mir an den Oberarm.
»Ich weiß, aber warum soll ich mich jetzt schon verrückt machen? Ich bin erst nächstes Jahr bei der WM dabei und bis dahin muss ich vor allem eins, nämlich fit und gesund bleiben.«
»Auch wieder wahr. Aber das wird so genial!«
»Garantiert! Ich wünschte, es würde bereits morgen losgehen.« Die Hummeln in meinem Hintern warten nur auf den passenden Moment, um mir den nötigen Adrenalinkick zu geben, doch werden auch sie sich noch etliche Monate gedulden müssen. Und Geduld ist definitiv nicht meine Stärke. »Aber egal, jetzt erstmal das letzte Rennen der Saison der Männer. Das wird der Hammer!«
»Auf jeden Fall! Was meinst du, wird Luis Gerland diesmal gewinnen?«
»Momentan ist er auf Platz zwei. Falls René Duprint patzt und Gerland fünf Punkte mehr einfährt …« Ich lasse den Satz unbeendet, denn eigentlich brauche ich Sonya nicht erklären, wie Punkte gesammelt werden. Sie ist von uns der Statistik-Freak. Fragt man sie nach einem x-beliebigen Rennen, weiß sie die Ergebnisse auswendig. Doch da der gestrige und der heutige Lauf zu einem Gesamtergebnis zusammenaddiert werden, wird die Rechnerei am Ende doch wieder groß sein. Zumal Duprint am Vortag bereits vor Gerland platziert war.
»Es wäre schon genial, wenn endlich mal wieder ein Deutscher gewinnt. Immerhin wäre er der Erste in der Geschichte, seitdem 2003 die neuen Klassen eingeführt wurden.«
»Wir haben es nicht in der Hand. Ansonsten werde ich halt nächstes Jahr die erste deutsche Frau.«
»So bescheiden wie immer.« Sonya lacht. »Sollen wir uns ’nen Platz suchen?« Sie tritt von einem Bein aufs andere, und ich weiß, dass sie keine einzige Sekunde verpassen will.
Ich ebenfalls nicht, daher nicke ich. Da es keine richtigen Tribünen gibt, verteilen sich die Zuschauer auf den Hügeln rund um die Strecke, immer auf der Suche nach der Kurve, in der die spektakulärsten Überholmanöver vermutet werden. Oder natürlich an den Sprüngen. Je höher und weiter, desto besser.
Gerade als ich einen Schritt zurücktrete und mich umdrehe, rempelt mich jemand an. Oder ich crashe in ihn, wer weiß das schon so genau.
»Sorry«, sage ich rasch und hebe den Blick. Ich treffe auf smaragdgrüne, beinahe magisch funkelnde Augen. Okay, vielleicht schießen sie auch eher mit Giftpfeilen auf mich?
»Pass doch auf«, zischt der Mann, und ich erstarre. Diese Stimme!
Eine Sekunde, zwei Sekunden. Endlich weiß ich, wer hier vor mir steht.
»Luis Gerland«, flüstere ich.
»Korrekt und jetzt geh mir aus dem Weg, ich muss zu meinem Rennen.«
Was für ein Arsch. Er bräuchte nur einen Schritt zur Seite machen und könnte einfach seines Weges gehen. Stattdessen steht er frontal wie eine massive Felswand vor mir.
Ohne dass es mir wirklich bewusst ist, richte ich mich auf und strecke den Rücken durch. Ich reiche ihm gerade bis zum glattrasierten Kinn.
»Dann geh doch!« Meine Stimme ist gepresster und abweisender als geplant. Was denkt er sich? Dass er Mister King ist? Der Hahn im Korb, und jede Frau tut, was er will?
Oh nein. Nicht mit mir. Immerhin haben wir dieselbe Leidenschaft, und wenn ich eins bin, dann durchsetzungsstark.
Seine Augen traktieren meine, unsere Blicke duellieren sich. Wenn er nicht so ein Arsch wäre, würde ich ihm viel Glück wünschen. Kein Wunder, dass er einer der wenigen Fahrer ist, von denen ich kein Autogramm besitze. Doch nach dieser Begegnung brauche ich es nicht mehr. Nun ist mir auch klar, warum er nicht der absolute Publikumsliebling ist. Dabei wirkte er bisher auf den Pressekonferenzen immer sympathisch. Davon ist jetzt jedoch nichts zu sehen. Eher ist er wie ein Hai, der mich am liebsten in einem Stück verschlingen würde. Was auch immer ihm heute die Laune verdorben hat.
Um seine Augen sind kleine Fältchen und sein Mundwinkel zuckt. Amüsiert er sich etwa? Sein Gesicht ist so symmetrisch, dass er von der Presse immer als der Playboy des Motocross betitelt wird. Tss, ja, attraktiv ist sein Äußeres, doch sein Charakter stinkt. Gleichzeitig regt sich ein Gefühl in meinem Bauch, das ich nur mühsam unterdrücke. Ein Kribbeln wie tausend kleine Krabbelviecher.
Ich verliere unser Blickduell. Er schiebt mich ohne ein weiteres Wort zur Seite und geht seines Weges in Richtung Fahrerlager. Offenen Mundes starre ich ihm hinterher. Das hat er nicht getan!
»Was für ein arrogantes Arschloch!« Sonya tritt neben mich.
Ich nicke und stoße die angehaltene Luft aus. »Ich denke, ich drücke gleich Duprint die Daumen.«
»Ich auch.«
Noch immer starre ich dem deutschen Fahrer hinterher, der soeben im Fahrerlager und damit aus meinem Blickfeld verschwindet.
»Komm, lass uns gehen. Dieser Kerl ist es nicht wert, einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden.«
Sonya hat recht und doch beschäftigt mich diese Begegnung den ganzen Weg, bis wir gute Plätze an der Rennstrecke gefunden haben. Das ist der Vorteil vom Motocross gegenüber dem Supercross. Motocross wird draußen an der frischen Luft gefahren. Dadurch sind die Strecken länger und witterungsanfälliger, was einen besonderen Reiz ausmacht. Kein Rennen gleicht dem anderen. Supercross hingegen wird in der Halle gefahren, hat mehr Wendungen, schneller aufeinanderfolgende Sprünge und wird in mehreren Läufen ausgetragen, da deutlich weniger Fahrer gleichzeitig auf die Strecke dürfen. Außerdem hat der Zuschauer in der Halle zugewiesene Plätze und wenn man Pech hat, sitzt man ziemlich weit von seinen Helden entfernt. Das ist hier an der Strecke eindeutig anders. Die Fahrer laufen einen regelrecht über den Haufen, jeder kann sich den besten Platz an der Strecke selbst suchen und oftmals ist nicht ganz so viel los wie bei den Supercross-Events. Aber das Genialste am Motocross ist einfach, dass es eine Outdoor-Sportart ist. Man muss mit jeder Wetterlage zurechtkommen und ich für meinen Teil mag es, wenn ich mir abends die Schlammschicht vom Körper wasche.
Ob Mister Miesepeter mir dabei behilflich wäre? Wenn er sich den Waschlappen schnappen würde und meinen Rücken … Oh nein. Raus aus meinem Kopf!
Zu meinem Glück geht in diesem Moment ein Grölen durch die Zuschauermenge, denn die Fahrer kommen auf die Strecke. Da wir uns in den Niederlanden befinden, begrüßt der Moderator alle ausschließlich auf Englisch wie schon bei dem Rennen der kleineren Klasse zuvor. Bei anderen Veranstaltungen wird manchmal zusätzlich in der Landessprache moderiert.
Die Stimmung ist beinahe zum Zerreißen gespannt, als die Kontrahenten in die Strecke einfahren und sich auf eine Einführungsrunde begeben. Gebannt verfolge ich die Blicke, die Konzentration und das Aufheulen der Motoren. Dann ist es so weit. Jeder Fahrer nimmt seine Startposition ein. Ich trete von einem Bein auf das andere und recke meinen Hals genauso wie alle um mich herum. Dort ist René Duprint, der aktuell WM-Führende. Außerdem Mister Arschloch Luis Gerland direkt daneben. Da er Helm und Schutzbrille bereits aufhat, kann ich nur mutmaßen, dass er extrem fokussiert ist. Duprint kann nur verlieren, wenn er ausscheidet oder weit zurückfällt. Gerland hingegen kann noch Erster oder sogar vom Podest verdrängt werden. Die Abstände hinter ihm sind knapp. Für ihn geht es um alles. Eigentlich wäre es toll, wenn er die deutsche Fahne hochhalten würde. Uneigentlich gönne ich es ihm nun nicht mehr.
Arschloch!
»Wohoo!«, macht Sonya und krallt sich an mich. »Ich halte das nicht mehr aus! Können die nicht endlich das Startsignal geben?«
Die Motoren der Bikes dröhnen, immer wieder lässt einer der Fahrer seine Maschine aufheulen. Die typischen Machtdemonstrationen vor einem Rennen. Gleichzeitig wird jeder Einzelne von ihnen dermaßen im gedanklichen Tunnel sein, dass er rechts und links von sich nur noch wenig wahrnimmt. Der Start ist so entscheidend, denn bei den insgesamt 40 Fahrern ist dort die Unfallgefahr am höchsten und die Sicherung des Holeshots, also als Führender in die erste Kurve zu gehen, ist ein immenser Vorteil.
Ich kralle mich ebenfalls an Sonya fest. Zusehen ist eindeutig nervenaufreibender, als selbst zu fahren.
Der Moderator beginnt mit dem Countdown, doch er zieht ihn endlos in die Länge. Ja, es ist das Finale, aber lasst die armen Fahrer doch endlich auf die Strecke.
»Three, two, one!« Allerdings reagiert das Startgitter auf einen anderen Befehl und verzögert noch für zwei lange Sekunden.
Motoren heulen auf, die Erde spritzt unter den Knobbies der durchdrehenden Reifen weg. Staub wirbelt auf, hat es doch die vergangenen Tage keinen einzigen Tropfen geregnet. Die Zuschauer toben, jubeln, brüllen gegen den Lärm an. Ein wahrer Hexenkessel.
Ich springe, recke die Hände in die Luft und mein Herz flattert. Heilige Scheiße. Das ist so gut!
Die erste Staubwolke lichtet sich und ich sehe, wie Duprint und Gerland Kopf an Kopf, Seite an Seite auf den ersten Sprung zusteuern. Synchron fliegen sie darüber hinweg, jagen auf die nächste Kurve zu. Direkt hinter ihnen sind die Verfolger, kleben an ihren Hinterrädern. Der Untergrund ist rutted, also von tiefen Furchen gezeichnet. Ständig schlingern die Fahrer, sind mit aller Kraft bemüht, ihre Maschinen in der Balance zu halten. Eine echte Ganzkörpersportart, die auch mir schon öfter den Muskelkater des Todes beschert hat.
Erneut wirbelt Staub auf, verdeckt mir die Sicht. Ich recke mich auf die Zehenspitzen, versuche, irgendetwas zu erkennen. Der Geruch von Abgasen, Dreck und Bratwurst liegt in der Luft. Musik dröhnt aus den Boxen, mit ihnen die Stimme des Moderators, der das Rennen weiterhin kommentiert. Das ist gerade beim Motocross wichtig, denn die Strecke ist unübersichtlich und ohne Tribünen kann man als Zuschauer das Rennen nur über einen Teilbereich mitverfolgen.
Ich zapple, blinzle, will durch die dicke Staubwolke irgendetwas erkennen. Doch natürlich kann ich sie nicht vertreiben.
Ein Knall und ein Schrei übertönen plötzlich alles und augenblicklich wird es still. Zu still. Nur ein Motor heult auf und die Musik wummert weiter, will der Menge einheizen, die jedoch zu Eis erstarrt ist.
»Scheiße«, flüstere ich. Sonya krallt sich in meinen Pulli, fester als zuvor. Niemand muss erklären, was da gerade passiert ist, verdeckt von der Staubwolke.
Aus allen Ecken treten die Streckenposten einen halben Schritt vor, schwenken rote Flaggen.
Rennabbruch.
Um uns herum werden die Köpfe gereckt, können jedoch genauso wenig sehen wie wir. Das Schweigen weicht einem drückenden Gemurmel. Erste Mutmaßungen um uns herum werden laut, welcher Fahrer den Schrei ausgestoßen hat.
Sonya hält sich die Augen zu, als der Staub sich langsam lichtet. Ein Knäuel aus Maschinen wird von Streckenposten rasch mit Tüchern abgeschirmt, bevor ich die Situation genauer erfassen kann. O Gott. Ein Massencrash. Kein Wunder, so eng, wie alle beisammen gefahren sind.
Unruhe breitet sich auf den Zuschauerrängen aus, genauso wie in mir alles kribbelt. Nicht mehr vor Freude und Aufregung, sondern vor Entsetzen. So darf die WM nicht enden.
»Ich kann mir das nicht mit ansehen«, murmelt Sonya. Ich nehme sie in den Arm, streiche ihr sanft über den Rücken. Wie oft musste sie meine Stürze mit aushalten. Sie selbst fährt zwar auch, aber deutlich gemütlicher, weniger waghalsig und erst recht nicht mit dem Ziel, bei einer WM teilzunehmen. Dafür tüftelt sie viel lieber an meinen Bikes rum, um das bestmögliche Setting für jedes Rennen zu finden. Und darin ist sie definitiv einsame Spitze. Ohne sie wäre ich meinem Traum nicht so nahe. Und da kann ich es gut aushalten, wenn sie Stürze nicht sehen mag.
Gebannt starre ich auf die Strecke. Selbst wenn ich wegsehen wollen würde, ich kann es nicht. Einige Fahrer bringen ihre Maschinen im Schritttempo zurück ins Fahrerlager, andere schieben sie gemäß der Anweisung der Streckenposten durch einen Nebenausgang.
Endlich meldet sich der Moderator wieder zu Wort, offensichtlich ebenso geschockt wie jeder einzelne Zuschauer. Allen ist klar, dass dies kein ganz normaler Crash war. Das war mehr, existenzbedrohend.
Motocross ist kein Sport für Waschlappen. Man braucht auf diesem Level Mut, Köpfchen, eine superduper Grundfitness, Siegerwillen und nimmt gleichzeitig in Kauf, dass man jederzeit Gesundheit und Leben riskiert. Das ist allen Fahrern bewusst. Dafür winkt auch ein hübsches Preisgeld.
Ich atme tief durch, streiche Sonya weiterhin den Rücken. Sie hat sich von der Strecke abgewandt.
»Verlierer dieser Startphase sind offensichtlich Gerland und Duprint, die noch immer von den Streckenposten vor Blicken abgeschirmt werden. Mir liegen keine aktuellen Informationen vor, ob weitere Fahrer verletzt sind. Zumindest sind 35 der Fahrer bereits zurück im Fahrerlager und höchstens leicht verletzt. Solch einen Massencrash habe ich lange nicht mehr gesehen. Das Rennen ist abgebrochen. Ob es später wieder gestartet wird, steht aktuell in den Sternen.« Der Moderator fasst die Ereignisse knapp zusammen, versucht dann, die Menge mit irgendwelchen Fakten und Zahlen bei Laune zu halten.
»Gerland und Duprint also«, murmle ich.
Sonya rückt etwas von mir ab, schaut jedoch nicht zur Strecke. »Wenn die so lange abgeschirmt werden, ist da mehr als ein kleiner Knochenbruch.«
Ich nicke. In diesem Moment wird ein Tor geöffnet und zwei kleine Fahrzeuge fahren in Richtung der Unfallstelle.
»Sollen wir nach Hause? Ich befürchte, das war’s hier.«
Sonya nickt. Ihr ist die Lust ebenso vergangen wie mir. Klar, das gehört zum Sport dazu, doch wünscht man niemandem etwas Schlechtes. Alle Fahrer sind Profis und jedes Rennen kann das Ende ihrer Karriere bedeuten. Und sosehr ich den Sport liebe, in solchen Situationen kommt immer wieder der Gedanke hoch, dass ich mir vielleicht doch besser eine weniger gefährliche Sportart hätte aussuchen sollen.
Sonya und ich bahnen uns einen Weg durch die Menge. Was für ein bescheidenes Ende einer tollen Saison. Etliche Personen drängeln uns gaffend weiter Richtung Absperrung entgegen. Jubel brandet auf. Ich drehe mich nicht um. Wahrscheinlich hat einer der verletzten Fahrer der Menge den Daumen emporgereckt, als Zeichen, dass es den Umständen entsprechend geht.
»René Duprint wird in diesem Moment vom Platz gefahren. Sein Bein ist in einer Schiene, doch er winkt seinen Fans zu. Er wird auf direktem Wege ins Krankenhaus gebracht und vollständig durchgecheckt. Nun fehlen uns nur noch Informationen zu Gerland. Bislang habe ich keine Meldung von der Strecke bekommen. Er ist der letzte auf der Strecke verbliebene Fahrer und die Tücher um ihn herum lassen nichts Gutes vermuten. Kumpel, wir wünschen dir baldige Genesung. Auf dass du schnell wieder zurückkehren magst. Und nun habe ich den Renndirektor bei mir. Jean Dramarque, was können Sie uns zu dem Unfall sagen?«
Der Renndirektor bestätigt die bisherigen Infos, wie ich über die Lautsprecher, die auch auf dem Vorplatz angebracht sind, vernehme. Ein paar Zuschauer sind ebenso wie wir auf dem Weg zu den Parkplätzen. Viele reisen für die Wochenenden auch mit dem Wohnmobil an und folgen den Athleten bei der WM-Tour durch ganz Europa, manche sogar auch zu den noch weiter entfernten Rennen. So viel Zeit hätte ich gern.
»Das Rennen wird in jedem Fall nicht wieder gestartet. Es zählen die gestrigen Ergebnisse. Das bedeutet, dass wir trotz all der Sorgen einen WM-Endstand haben. René Duprint ist unser neuer und alter Held.« Der Renndirektor wirkt bedrückt, hat für seine Verhältnisse viel zu viel geredet und ernennt den Sieger ohne große Freude.
Ich verstehe ihn zu gut. Duprint bekommt von seinem Erfolg auf dem Weg ins Krankenhaus wahrscheinlich nichts mit.
»So ein Ende der WM-Serie hat keiner verdient«, sagt Sonya.
»Definitiv.«
»Tust du mir einen Gefallen und passt nächste Saison auf dich auf? Ich will dich nicht von der Strecke kratzen müssen.«
»Keine Sorge, ich passe immer auf mich auf. Aber das Risiko bleibt. Immerhin habe ich nicht vor, Letzte zu werden.«
»Touché. Trotzdem.«
Ich lächle, denn ihre Sorge und die gleichzeitige Begeisterung für diesen Sport sind zwei Komponenten, die nur schwerlich zueinander passen.
Wir erreichen mein Auto und ich plumpse hinter das Lenkrad. »Was für ein Tag.«
Meine beste Freundin nickt zustimmend, das Handy in der Hand. Wahrscheinlich sucht sie längst nach ersten Informationen. Das Internet weiß schließlich alles, dennoch bezweifle ich, dass jetzt bereits mehr Details online stehen, als wir soeben erfahren haben.
Geschickt lenke ich das Auto über die holprige Wiese, weiche den Schlaglöchern aus, soweit ich kann. Zum Glück ist es trocken, denn sonst hätten wir wohl vom Trecker aus diesem Acker gezogen werden müssen.
»WM-Rennen abgebrochen. Duprint, neuer und alter Champion, liegt mit kompliziertem Beinbruch im Krankenhaus. Bisher keine genauen Informationen zum Gesundheitszustand von Gerland. Erste Vermutungen erhärten Verdacht auf Verletzungen der Wirbelsäule. Ach du Scheiße!«
Mein Atem stockt erneut, als Sonya die Schlagzeilen vorliest. Verletzungen der Wirbelsäule gehen selten gut aus.
»Egal, wie scheiße er vorhin zu mir war, das hat er nicht verdient.«
»Nein, das definitiv nicht.«
Die weiteren gut zweieinhalb Stunden der Rückfahrt verbringen wir schweigend. So war der Tag nicht geplant.

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