
Musik verändert ein Leben – oder auch zwei?
Als Alessia während einer Silvesterreise in das sagenumwobene Rumänien ihre Jugendliebe Robin unverhofft wieder trifft, knistert es gewaltig zwischen ihnen. Überwältigt von ihren Gefühlen flüchtet Alessia sich in ihre Musik, die ihr stets Halt gegeben hat. Doch als an Neujahr ein Video von ihr, wie sie den neuen Song einübt, im Internet auftaucht, wird sie von ihrer Auftrittsangst überrollt und die frische Liebe zu Robin droht zu zerbrechen …
Ein winterlicher Second Chance New Adult Liebesroman, der unabhängig und ohne Vorwissen lesbar ist.
„Das Buch ist für alle, die das Träumen noch nicht aufgegeben haben!„
Jana, Leserin.
„Der Schreibstil von Sarah Lemme ist so bildlich, gut verständlich und flüssig, dass ich sofort in die Geschichte hineingesogen wurde.„
Kathrin, Leserin
„Sehr schön, leicht, lustig und modern geschrieben“
Zuzana, Leserin
Leseprobe
Kapitel 1 aus Melody of Winter Hearts
28.12., Alessia
Musik verändert ein Leben. Daran glaube ich. Jeden Tag hören Millionen Menschen ihre Playlists, sei es auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit oder während der Hausarbeit. Menschen gehen in Diskotheken, um zu wummernden Bässen zu tanzen, oder hören ganze Konzerte auf Youtube. Wieder andere erschaffen Musik, kreieren neue Kunstwerke, malen mit den Noten und Worten Bilder sowie Emotionen in den Köpfen der Zuhörer. Musik ist Leidenschaft, denn sie entfacht die Gefühle. Mal weckt sie melancholische, mal glückliche Empfindungen. Sie kann motivieren und beruhigen. Musik ist Leben. Für jeden Menschen und für jede Situation gibt es das passende Lied, davon bin ich felsenfest überzeugt.
Der Druck im Kopf und in den Ohren nimmt zu. Ich schlucke, um wieder besser zu hören. Sanft wippe ich im Takt zu dem Rhythmus, der aus meinen Kopfhörern dringt, während sich die Finger gleichzeitig fester um die Armlehnen krallen. Die Klänge sind beruhigend, beinahe einschläfernd, doch genau das, was ich in diesem Moment brauche. Die Stimme der Sängerin, nur begleitet von der Gitarre … Sie ist mein Vorbild, denn ihre Texte und Songs verkaufen sich weltweit in einer schier unfassbaren Zahl. Die Lyrics kann ich auswendig, so oft habe ich den Song in Dauerschleife gehört, und würde am liebsten mitsingen. Doch das kommt nicht infrage. Nicht hier. Nicht vor all den Menschen. Ich seufze leise. Diese Sängerin lebt den Traum, den ich nicht zu träumen wage.
Erneut nimmt der Druck in meinen Ohren zu und ich muss mehrmals schlucken, bis ich die Musik nicht mehr wie durch Watte gedämpft höre. Wir sind im Landeanflug auf den Flughafen Henri Coandă von Bukarest und der Blick aus dem Fenster offenbart eine weiß gezuckerte Landschaft. In der Ferne ist die Bergkette zu erahnen, die wir vorhin passiert haben. Irgendwo dort muss das sagenumwobene Schloss liegen, das Bram Stoker als Vorbild für seinen berühmten Vampirroman Dracula genommen hat. Gelesen habe ich das Buch zwar nie, aber wer kennt die Geschichte nicht? Wieder nimmt der Druck auf meinen Ohren zu. Der Flughafen liegt direkt unter uns und die Autos auf den Straßen haben längst kein Format aus dem Miniaturwunderland mehr. Ich schlucke erneut, um den Druck loszuwerden, und fokussiere mich wieder auf die Musik. Natürlich habe ich mein Handy im Flugmodus, sodass ich das Dröhnen der Motoren weiter durch die Playlist übertöne. Doch erst als der Flieger mit einem sanften Ruckeln auf dem Boden aufsetzt, entspanne ich meine verkrampften Finger. Prüfend bewege ich die Hände.
»Urlaub! Alessia, ich glaube es nicht! Wir sind wirklich da!« Liv quietscht freudig auf und klatscht mit den anderen Passagieren Beifall.
Yay, der Pilot hat seinen Job erledigt und uns alle heile ans Ziel gebracht. Warum klatscht mir eigentlich niemand, wenn ich brav in der Vorlesung war? Oder wenn ich mit dem Hund der Nachbarin Gassi gehe? Okay, zugegeben, das sind blöde Vergleiche. Musiker machen schließlich auch nur ihren Job und bekommen auf Konzerten dafür Beifall. Warum soll der Pilot also keinen erhalten? Ich seufze. Jeden Applaus, den ich bisher für meine Musik bekommen habe, war eher Mitleidsbeifall. Dabei ist Musik mein Leben.
Ich schalte die Playlist aus, zupfe die Kopfhörer aus den Ohren und verstaue das Handy in meiner Jackentasche. »Na dann mal los!« Zaghaft ziehe ich die Mundwinkel in die Höhe und schaue Liv an. Jetzt, wo der Flug überstanden ist – das Schlimmste am Urlaub –, kann es nur besser werden. Mit einem Klicken löse ich den Sicherheitsgurt und stehe auf. Stöhnend reibe ich mir die Knie und Oberschenkel. Zwar hat der Flug nur zwei Stunden gedauert, doch wie immer sind meine Muskeln steif. Das Fliegen und ich werden keine Freunde mehr.
Vorsichtig öffne ich das Gepäckfach über unseren Sitzen, in dem sich außer meiner Gitarre nur die Rucksäcke und ein paar Jacken befinden. Meine Fingerkuppen streifen über den Koffer. Alles ist gut. Mein Baby ist heile und hat keinen Kratzer abbekommen. Was war das für ein Akt. Wie schon einige Male zuvor wollten die Damen am Check-in mir verbieten, die Gitarre als Handgepäck mitzunehmen. Doch irgendwann haben sie nachgegeben. Vielleicht weil der Flug nicht ausgebucht war. Aber ohne mein Baby zu fliegen, wäre keine Option gewesen. Wir gehören zusammen wie die Sonne mit allen anderen Sternen. Urlaub inspiriert mich meist zu neuen Songs, die ich sofort testen muss. Es wäre eine völlige Verschwendung, diese Inspiration ungenutzt vorbeiziehen zu lassen. Musik ist nun mal Leben – mein Leben.
Endlich ist der Ausgang freigegeben. Die Ersten verlassen den Flieger und ich recke meinen Kopf. Geht das nicht schneller? Gemeinsam folgen wir dem Strom an Passagieren, lassen ein paar Bummelanten hinter uns und werden von zielstrebigen Anzugträgern mit Aktentaschen überholt. Da ist sie wieder, diese freudige Aufregung, die überall in der Luft liegt. Genauso wie an Weihnachten, wenn alle in gelöster Erwartung das Wohnzimmer stürmen und sich auf die Geschenke stürzen.
»Danke, dass du mich zu diesem Urlaub überredet hast.« Ich schaue zu Liv. Ohne ihre vehemente Art, mich zu meinem Glück zu überreden, hätte ich Silvester allein in meinem WG-Zimmer verbracht – wie jedes Jahr. Nicht, weil ich eine Stubenhockerin wäre, sondern weil ich den Hintern nicht hochbekommen würde. In Jogginghose ist es schließlich bequem.
»Kein Ding! Auch wenn es eine Gruppenreise ist, bin ich mir sicher, dass ich ohne dich nur halb so viel Spaß haben würde. Und wer weiß, mit wem ich mir das Zimmer teilen müsste. Da kann man echt Pech haben. Du weißt, ich spreche aus Erfahrung.«
Natürlich weiß ich das. Letztes Jahr hat sie mich jeden Abend angerufen, weil ihre Zimmernachbarin unmöglich war – und ich in Jogginghose zu Hause Serien geschaut habe. »Weißt du, wann wir die anderen treffen?«
»Wahrscheinlich gleich am Treffpunkt. Vielleicht ist der ein oder andere auch direkt zum Hotel gefahren. Die Anreise ist ja individuell und nicht wie bei den Fernreisen gemeinsam. Ich habe zumindest noch niemanden mit dem identischen Anhänger des Reiseveranstalters an den Taschen entdeckt.«
Ich nicke knapp. Endlich kommen wir nach den langen Gängen an der Gepäckausgabe an. Wir suchen uns einen Platz am noch stillstehenden Band, um auf unsere Koffer zu warten. Rings um uns herum herrscht ein munteres Stimmengewirr. Rumänisch – zumindest glaube ich, dass es diese Sprache ist –, Englisch und Deutsch höre ich heraus. Kein Wunder. Der Flieger kommt aus Berlin.
Noch immer bewegt sich das Gepäckband keinen Millimeter. Was beneide ich die Männer in den Anzügen, die nur ihren Handgepäckskoffer haben. Wahrscheinlich sind sie für ein einziges Meeting in der Stadt und fliegen morgen wieder nach Hause. Doch für einen fast einwöchigen Urlaub in einem Land, bei dem die Temperaturen zu dieser Jahreszeit um die Null Grad liegen, braucht es eindeutig mehr und vor allem wärmere Kleidung. Grundsätzlich hätte ich nichts gegen einen Urlaub im Süden, also mit Strandfeeling gehabt, doch nun sind wir hier in Bukarest. Eine Stadt, in die ich ohne diese Gruppenreise und Livs Drängen wahrscheinlich nie geflogen wäre – vor allem nicht im Winter. Ich trete von einem Bein auf das andere. Weiterhin steht das Förderband still vor uns.
Erneut ziehe ich das Handy aus der Tasche, deaktiviere den Flugmodus und logge mich in das WLAN des Flughafens ein. Ich schaue kurz die verschiedenen Apps durch und bleibe bei Youtube hängen.
»Nun schau dir das an! Das kann echt nicht wahr sein!« Ich halte Liv das Display unter die Nase. So dicht, dass sie kurz schielt und den Kopf schüttelt.
»Ach, hat er wieder ein neues Video? Erzähl mir was Neues.« Sie zieht eine Augenbraue hoch.
Interessiert sie das denn nicht? Hallo? Das ist ein Video von RooobHoood. »Ja hat er. Es ist erst zwei Stunden alt und hat bereits über hunderttausend Klicks. Das ist unmöglich!« Ich starre auf mein Handy, als könne ich die Zahl beeinflussen, die mit jeder Aktualisierung der Seite immer weiter in die Höhe schnellt.
»Du siehst doch, dass es möglich ist.«
Ich schaue kurz auf. Liv hat ihren Blick auf das Gepäckband gerichtet, als könne sie es beschwören, sich zu bewegen. Die Arme verschränkt, wippt sie ungeduldig mit dem Fuß. Ich verstehe sie so gut. Wer wartet schon gern auf sein Gepäck, wenn man längst das Urlaubsfeeling genießen oder das Hotelzimmer checken könnte? Außerdem bin ich echt neugierig, wer außer uns bei dieser Reise dabei ist.
»Aber warum ist es dann bei mir nicht möglich?«
Nun dreht Liv sich doch zu mir um. »Alessia Sturm! Bitte bemerke den kleinen, aber feinen Unterschied: RooobHoood hat über fünf Millionen Follower, die nur darauf warten, dass er ein neues Video online stellt. Du hingegen hast wie viele Follower auf Youtube? Dreißig? Vierzig?« Sie schaut mich wieder mit ihrer hochgezogenen rechten Augenbraue an. Ihr Blick ist so herausfordernd, dass ich mich nicht zurückhalten kann.
»Sechsundfünfzig!« Die Zahl schießt wie ein Pfeil aus meinem Mund.
»Sechsundfünfzig. Keine fünf Millionen. Bekomm das in deinen Dickschädel.« Sie bohrt mit ihrem Zeigefinger an meiner Schläfe. »Die Leute wollen halt lieber seine Heldentaten oder die Videos von den Lost Places sehen und nicht die stottrigen Versuche, wie du deine selbst geschriebenen Texte auf der Gitarre begleitest. Und du weißt, dass ich das nicht böse meine.«
Autsch.
Ich schlucke. Wäre Liv nicht meine beste Freundin und würden wir uns nicht uneingeschränkt die Wahrheit sagen, hätte ich ihr eine gescheuert. Doch leider hat sie recht. Ich bin ein Nichts, während RooobHoood der Held unserer Generation ist. Er ist ein Influencer. Ich nicht.
»Das ist nicht fair!«
»Das Leben ist selten fair.« Sie zuckt mit den Schultern.
Kurz befürchte ich, dass sie zu diesem Thema nichts weiter sagen will, doch dann ergreift sie meine Hand.
»Süße, ich weiß, dass du es dir anders wünschen würdest. Und du hättest es verdient, denn deine Stimme ist wundervoll. Das wissen du und ich. Doch du stehst dir einfach selbst zu sehr im Weg.«
Das entspricht ebenfalls den Tatsachen. Alles, was sie sagt. Denn es gibt einen guten Grund, warum Leute wie die Songwriterin, der ich vorhin gelauscht habe, oder RooobHoood erfolgreich sind. Sie scheuen sich nicht, vor die Kamera zu treten. Sie machen sich auch mal zum Affen, wenn es sein muss. Ich hingegen bekomme schlottrige Knie, sobald ich eine Bühne aus der Ferne sehe.
»Du musst dich einfach trauen und vielleicht hilft ja noch mal ein Coaching. Oder du gehst zu The Voice.«
Ich starre sie an. »Nein. Nein. Und nein!« Ich schüttle heftig den Kopf. »Da schauen zu viele Menschen zu.« Allein der Gedanke lässt mich erschaudern.
»Aber vielleicht brauchst du genau das. Die Auftritte damals in der Schule, wo zu viele zusehen, die nicht verstehen, wie besonders du bist, sind kein Maßstab.«
»Nein.« Dieses Thema werde ich nicht mehr diskutieren. So eine Demütigung erspare ich mir. Das Lampenfieber – gibt es eigentlich auch sowas wie Lampenpanik? – und ich sind definitiv beste Buddies.
»Ich werde in meiner Freizeit weiter Songs schreiben. Nur für mich. Das habe ich akzeptiert und so ist es richtig. Ich gehöre nicht auf die großen Bühnen, denn man sieht ja, dass mich niemand hören will.«
Zur Bestätigung halte ich ihr eines meiner Videos hin, bei dem die Klickzahlen sogar halbwegs passabel sind. Darauf sieht man mich dunkel im Kerzenschein, während ich auf der Gitarre ein Lied über Herzschmerz schmachte. Es war eine dieser Phasen, als ich mich nicht getraut habe, einen hübschen Jungen anzusprechen und der sich dann eine andere geangelt hat. Robin hieß er. Damals war ich zwölf oder dreizehn. Also rückblickend alles nichts Ernstes und doch dachte ich, dass es die große Liebe wäre. Letztendlich waren es kindliche Schwärmereien. Ich war ein Teenager mit verrücktspielenden Hormonen. Gleichzeitig hat es mir ein neues Verständnis für romantische Lieder gegeben.
Er hat mich damals dennoch überhaupt nicht beachtet. Schließlich war er der Schwarm aller Mädchen aus unserer Klasse. Siebte Klasse, wenn ich mich nicht irre. Warum sollte er sich auch mit einem Mauerblümchen wie mir abgeben, wo Bianca ihn ebenfalls angehimmelt hat? Und die hatte keine Scheu, ihn anzusprechen und vor den Augen der gesamten Schülerschaft mit ihm zu knutschen. Was waren wir naiv – zumindest ich.
Inzwischen habe ich dieses Lied zwar gefühlte hundert Mal umgeschrieben, doch das Video ist eines der wenigen, bei denen ich mich nicht ständig verhasple. Die akzeptablen Stellen habe ich damals unprofessionell heraus- und zusammengeschnitten. Eindeutig nicht schön, aber trotzdem das einzig brauchbare Material aus all den Jahren. Dennoch sollte jeder Zuschauer sehen, dass ich das Lied fühle, dass ich das Lied lebe. Falls nicht, dann liegt es an dem emotional zugeknöpften Betrachter und nicht an meiner Performance.
»Erzähl das deiner Großmutter! Natürlich gehörst du auf die Bühne, aber ich bin nicht die Person, die dir dabei helfen kann. Im Gegensatz zu dir bin ich die unmusikalischste Person und froh, wenn ich eine Präsentation in der Uni überstehe.«
Was ein Vergleich. Ich seufze und sinke auf den Boden. Da sich am Gepäckband noch immer nichts tut, brauchen wir uns nicht die Beine in den Bauch zu stehen. Auch Liv setzt sich neben mich. Uni … Zum Glück sind Weihnachtsferien und ich muss mich mit Rechnungswesen, Statistik und allem anderen, was zu unserem BWL-Studium gehört, erst im neuen Jahr wieder beschäftigen. »Immerhin bist du besser im Studium als ich.«
»Aber nur, weil du mir den Arsch bei den Präsentationen rettest.«
Ich zucke mit den Schultern. »Das liegt mir eben.«
»Weißt du eigentlich, wie bekloppt das ist? Du kannst dich nicht mit der Klampfe vor ein paar Menschen stellen und deine eigenen Songs singen. Aber in der Uni hältst du Vorträge, wie es selbst unser Prof Weigelt nicht kann. Das passt überhaupt nicht zusammen.«
Ich presse die Lippen aufeinander. Es ist nicht so, dass ich mir diese Frage noch nie gestellt habe, aber sobald ich singen soll und mich alle erwartungsvoll anstarren, fallen mir meine eigenen Texte nicht mehr ein. Bei Vorträgen hingegen habe ich meine Präsentation und die Karteikarten, an denen ich mich entlang hangle. Außerdem ist es nicht wichtig, ob ich eine 1,0 oder 2,0 bekomme. Solange ich alle Anforderungen bestehe, bin ich zufrieden. Doch die Musik ist so viel mehr für mich. Sie ist mein Leben und begleitet mich seit jeher. Ich habe schon immer gesungen, in jeder Lebenslage und zu jeder Tageszeit, noch bevor ich richtig sprechen konnte. Als die erste Gitarre bei mir eingezogen ist, eine wunderschöne Akustik-Gitarre, gab es kein Halten mehr. Jedoch nur in meinem Zimmer zu Hause. Es war und ist mein Ventil für all die Emotionen, die ich nicht ansprechen oder zeigen kann. Meine Songs erzählen eins zu eins das, was mich beschäftigt. Sie erzählen von meinen Gefühlen und meinen Erlebnissen. Und das ist der entscheidende Punkt: Letztendlich macht Musik mich verletzlich. Ich offenbare mein Innerstes durch sie. Das tue ich bei Präsentationen nicht.
»Ich weiß«, seufze ich.
»Also, dann jammere nicht, weil RooobHoood wieder mehr Likes bekommt, wenn er einer alten Frau über die Straße hilft, sondern sieh zu, dass du ein paar neue Videos drehst. Wenn du dir eine Fangemeinde aufbauen willst, musst du regelmäßig posten.«
»Und woher kennst du dich auf einmal mit solchen Dingen aus?«
»Ich bin nicht blöd. Sowas weiß man. Und wahrscheinlich müsstest du dich in die Fußgängerzone stellen oder so, damit die Leute auf dich aufmerksam werden.«
»Nur über meine Leiche!«
»Dann beschwer dich nicht! Und jetzt lass uns damit aufhören. Immerhin haben wir Urlaub und der ist zum Entspannen da. Wir machen uns ein paar schöne Tage und dann sehen wir weiter. Wenn du magst, kann ich dich ja mal filmen. Deine Gitarre hast du doch dabei und die Kamera am Handy reicht locker aus.«
Natürlich habe ich meine Gitarre dabei. Die ist an mir festgewachsen wie meine Arme und Beine – oder zumindest fast. Mein Baby, mein Vertrauter und mein Seelengefährte in einer Gestalt. Zugegeben, die Beziehung zu meiner Gitarre ist speziell.
»Klar. Können wir machen«, entgegne ich lahm. Natürlich wird sie mich nicht filmen. Allein der Gedanke schnürt mir die Kehle zu. Es ist zwecklos. In den letzten Jahren habe ich es hinreichend ausprobiert. Das Resultat ist auf meinem Youtube-Kanal zu sehen. Warum sollte es diesmal anders sein?
Nein, ich habe das BWL-Studiums gewählt und werde ganz sicher meinen Weg gehen – nur eben nicht im musikalischen Bereich. Eine schöne Stimme zu haben, reicht heutzutage nicht aus. Wer im Musikgeschäft bestehen will, muss eine Rampensau sein – Personality haben, wie es neuerdings so schön heißt – und sollte vor allem kein Problem damit haben, auf der Bühne zu stehen.
»Schau, es geht endlich los!« Liv springt auf und deutet auf das Gepäckband, dass sich ruckelnd in Bewegung setzt und die ersten Koffer an die Besitzer verteilt. Meine beste Freundin reckt den Kopf und fällt halb vornüber, um ihr Gepäckstück zu suchen.
»Dann kann das Abenteuer ja losgehen …«
Ich weiß, ich müsste enthusiastischer sein, doch noch will sich das Urlaubsgefühl nicht richtig einstellen. Hoffentlich kommt das bald, spätestens, wenn wir im Hotel sind. Das war bislang immer so.
»Das wird gut! Du wirst sehen, Gruppenreisen sind toll.«
»Ich verbinde Gruppenreisen immer mit Seniorenkaffeefahrten.« Das war der erste Gedanke, der mir in den Sinn kam, als Liv mir von ihrer Idee erzählt hat.
Meine beste Freundin schaut mich entrüstet an und boxt mir an den Oberarm.
»Au!«, mache ich und reibe über die Stelle. »Womit habe ich das denn verdient?«
»Weil du mir scheinbar nicht vertraust. Warum hast du dann zugesagt?«
»Eben weil ich dir doch vertraue.« Ich zucke mit den Schultern. »Du hast ja so eine Kaffeefahrt schon mitgemacht.«
Liv war im vergangenen Jahr über den Jahreswechsel mit einer Gruppenreise desselben Veranstalters in Athen und hat mir so lange in den Ohren gelegen, bis ich zugesagt habe, sie diesmal nach Bukarest zu begleiten. Warum auch immer es ausgerechnet Rumänien sein muss … Immerhin liegt hier eine Puderzuckerschicht aus Schnee. Anders als im tristen Berlin, wo es seit Tagen ununterbrochen regnet. Da war von weißer Weihnacht keine Spur. Wer auch immer im Himmel an der Wetterstation gesessen hat, es kann nur der Praktikant gewesen sein. Hoffentlich hält das Winterwetter während der nächsten Tage, denn ich will meine dicken Klamotten nicht umsonst mitgenommen haben.
»Dann zeige ich dir mal, wie so eine Kaffeefahrt läuft.« Liv zieht eine Schnute, während sie ihren Koffer vom Band wuchtet. Der ist größer und praller gefüllt als meiner, der auch endlich in meinem Sichtfeld auftaucht. Liv war schon immer eine Frostbeule, weswegen mich dieses Reiseziel umso mehr verwundert. Doch ich will mich nicht beschweren. Wir haben Urlaub und werden in jedem Fall eine gute Zeit haben.
»Haben wir alles?« Liv sieht mich fragend an.
Ich nicke bestätigend. »Wo müssen wir hin?«
»Dort ist der Ausgang.« Sie deutet auf eine recht unscheinbare Tür, die Zollkontrolle davor ist jedoch unübersehbar.
»Alessia?«, erklingt in diesem Moment eine Stimme hinter mir, die mir bekannt und gleichzeitig unbekannt vorkommt. Oder einfach tiefer, reifer, doch den Klang meines Namens … Das kann nicht sein! Ich erstarre. Meine Sinne müssen mir einen Streich spielen.
Ganz langsam drehe ich mich um und lasse den Blick über die noch auf ihre Koffer wartenden Menschen streifen. Okay, nicht über die Menschen – dazu bin ich zu klein – aber zwischen ihnen hin und her.
Der junge Mann, der mir grinsend entgegenkommt, erinnert mich an die Person, deren Stimme noch nicht durch den Stimmbruch war, als wir uns zuletzt gesehen haben. Seine Jeans sitzt locker auf den Hüften, das Hemd ist lässig hineingesteckt und steht ihm außerordentlich gut. Ein wahnsinniger Unterschied zu den zerrissenen Klamotten, die er damals in der Schule anhatte, nur weil das alle toll fanden.
»Robin?«, frage ich dennoch zögerlich, obwohl ich mir sicher bin, dass er es ist. Acht Jahre älter, mit einem Dreitagebart und einer Ausstrahlung wie ein Anwalt im Urlaub. Meine Knie werden weich, als sich sein Lächeln in die Breite zieht. O. Mein. Gott. Er ist es wirklich. Ich schlucke. Wenn er damals gut ausgesehen hat, ist er jetzt Mister Perfect. Wie kann ein Mann so unfassbar gut aussehen? Das ist unmöglich! Und doch steht er vor mir. Robin Volk, mein Schwarm aus der siebten Klasse.

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